Freiheit. Gleichwertigkeit. Grundeinkommen. – JETZT?
»Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.« (Viktor Hugo)
Autor: Uschi Bauer Kategorie: Wirtschaft Ausgabe Nr: 62
In ihrem engagierten Plädoyer für das bedingungslose Grundeinkommen fordert Uschi Bauer eine radikale Reformierung des derzeitigen Arbeits- und Verdienstsystems, die auf der Idee der Entkopplung von Einkommen und Erwerbstätigkeit beruht. Sie ist überzeugt davon, dass erst der von Existenzangst und vom Zwang zur Arbeit befreite Mensch sein ganzes Potential entfalten und sich mit seiner selbstgewählten Tätigkeit sinn- und liebevoll in die Gesellschaft einbringen kann.
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»Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.« Sagt ein chinesisches Sprichwort. Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist der nächste logische Schritt in der gesellschaftlichen Entwicklung. Sagen BGE-Aktivist_innen auf der ganzen Welt. Die Frage ist nur, wann wir kollektiv bereit sind für den (Bewusstseins-)Sprung in die totale Freiheit.
Denn das ist das bedingungslose Grundeinkommen ohne jeden Zweifel: die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit und der Beginn eines neuen Miteinanders und Füreinanders. Sapere aude: Die Werte der französischen Revolution könnten endlich Wirklichkeit werden – angepasst an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Bereits im Jahre 1516 zeichnete Thomas Morus in seinem Roman ›Utopia‹ das Bild einer idealen Gesellschaft, deren Basis ein Lebensunterhalt für alle ist.
»Indessen … scheint mir – um es offen zu sagen, was ich denke – in der Tat so, dass es überall da, wo es Privateigentum gibt, wo alle alles nach dem Wert des Geldes messen, kaum jemals möglich sein wird, gerechte oder erfolgreiche Politik zu treiben, es sei denn, man wäre der Ansicht, dass es dort gerecht zugehe, wo immer das Beste den Schlechtesten zufällt, oder glücklich, wo alles an ganz wenige verteilt wird und auch diese nicht in jeder Beziehung gut gestellt sind, die übrigen jedoch ganz übel… Wenn ich das, wie gesagt, bedenke, werde ich dem Platon besser gerecht und wundere mich weniger, dass er es verschmäht hat, solchen Leuten überhaupt noch Gesetze zu geben, die die gleichmäßige Verteilung aller Güter ablehnten.«
– Thomas Morus, 1516
Heute stehen wir an einem Punkt in der Menschheitsgeschichte, der herausfordernder nicht sein könnte. Die Welt ist völlig aus den Fugen. Das kapitalistische System – Zinseffekt, Geldschöpfung aus dem Nichts, immanenter Wachstumszwang – macht Mensch und Erde krank, beutet menschliche Arbeitskraft ebenso aus wie planetare Ressourcen und verstärkt das Ungleichgewicht unaufhörlich. Denn die Ansammlung stetig wachsenden Vermögens in den Händen weniger impliziert Macht über die Vielen. Um uns aus dieser immer bedrohlicher werdenden Abwärtsspirale zu befreien, braucht es eine Revolution des Bewusstseins. Welt vom Kopf auf die Füße gestellt? Logisch – mit gesundem Menschenverstand!
»Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht aus Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. ›Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‹ ist also der Wahlspruch der Aufklärung.«
Immanuel Kant, 1784
Die Entwicklung des Bewusstseins ist eine Reise durch die dunkelsten Tiefen hin zu den hellsten Höhen des menschlichen Seins. Die Dualität möchte in ihrer ganzen Bandbreite erfahren werden – um letztlich die Polarität zu überwinden. Dazu müssen wir uns aus Gedankengefängnissen befreien. Den Horizont erweitern. Alte Glaubenssätze aufbrechen. Einer der ältesten aus der Bibel lautet:
»Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.« Die Wahrheit sieht anders aus – das Gegenteil ist in unserer heutigen arbeitsteiligen Welt der Fall, die längst nicht mehr genug bezahlte Arbeit für alle hat: Wer nicht isst, kann nicht arbeiten. Mit dieser neuen Sichtweise können wir praktisch jeden gesellschaftlichen Bereich betrachten – und dadurch zu völlig neuen Erkenntnissen gelangen. Durch den Bauch denken, mit dem Kopf fühlen, aus dem Herzen handeln. »Wir sind keine Menschen, die eine spirituelle Erfahrung machen, sondern wir sind spirituelle Wesen, die erfahren, Mensch zu sein.«
Pierre Teilhard de Chardin, 1940
Immer mehr Menschen erweitern ihre Wahrnehmungsfähigkeit und sind sich der tiefen Verbundenheit bewusst, die das Ende jeglicher Spaltungsabsichten bedeutet. Das uralte Herrschaftsprinzip ›Teile und herrsche‹ greift dann schlicht nicht mehr – ›Divide et Impera‹ führt sich selbst ad absurdum. Aufklärung heißt das Zauberwort. Wann schaffen wir es, unseren Mitmenschen klarzumachen, dass das BGE ein Menschenrecht ist und sich nur auf diesem angstfreien Grund und Boden eine emanzipierte Gesellschaft entwickeln kann? Wir dürfen gespannt sein, wann der 100. Affe am Horizont auftaucht. Das morphogenetische Feld, erforscht von Rupert Sheldrake, liefert uns die Antwort – in den Worten von Lyall Watson: »Wenn nur genug von uns etwas für wahr halten, dann wird es für alle wahr.«
Fakt ist: Es ist genug für alle da. Die doppelte Menschheit könnte mit Nahrungsmitteln versorgt werden, wenn wir weniger verschwenden, weniger Fleisch essen und uns anders fortbewegen würden: 46% Getreide wird gegessen, 34% an Tiere verfüttert, 20% ist Biosprit und Schmierstoff. Wenn sich nur 10% der Menschheit dem Anbau von Nahrungsmitteln widmen würden, könnten wir uns unabhängig machen von ungesund mächtigen Lebensmittelkonzernen. Geld gibt es wie Sand am Meer – nur landet es in wenigen Kanälen und oft genug da, wo es nichts bewirken kann, sondern nur gehortet wird: Offshore-Leaks lassen grüßen aus den globalen Steuerparadiesen. Und Weltkonzerne, die alle von unseren Politikern genehmigten Steuerschlupflöcher nutzen, statt das Gemeinwohl mitzufinanzieren, sind nur ein weiteres Indiz dafür, dass unsere Volksvertreter schon lange nicht mehr unser Wohl im Sinn haben – sondern sich ebenso wie die Global Player die Taschen voll machen wollen. Von den Banken, die mit unseren Steuergeldern gerettet werden, wenn sie sich im Profitrausch mal wieder verzockt haben, ganz zu schweigen. Im Übrigen leben wir natürlich nicht vom Geld, sondern von Gütern und Dienstleistungen – auch davon erbringen wir mehr als genug. Und doch drehen wir uns im Hamsterrad, als gäbe es keinen Ausweg. Warum halten wir an der 40- Stunden-Woche fest, wenn das bestehende Versorgungsniveau mit 4 Stunden Arbeit pro Tag gehalten werden kann, sobald sie auf alle verteilt wird? Stattdessen rackern sich manche zu Tode, während andere unter Arbeitslosigkeit leiden. Darüber hinaus nehmen uns immer mehr Maschinen die Arbeit ab – schon lange gibt es nicht mehr genug Jobs, von denen wir in Würde leben können. Das Märchen von der Vollbeschäftigung propagieren Verantwortliche in Politik, Konzernen und Finanzwesen, die vom momentanen System profitieren. Und es damit zementieren. Unsere Aufgabe besteht darin, die größeren Zusammenhänge zu erkennen – the bigger picture –, stets wach zu fragen ›cui bono?‹ – ›Wem nützt es?‹ und im Übrigen bewusst gegenzusteuern. Eine mögliche Welt ist anders – eine andere Welt ist möglich. Wenn wir viele und uns einig sind.
Keine Frage: Die repräsentative Demokratie ist ein Auslaufmodell. Einige wenige treffen Entscheidungen, die einigen wenigen zugutekommen. Es ist an der Zeit, dass wir selbst die Verantwortung für das Gemeinwohl übernehmen und gemeinsam eine Gesellschaft gestalten, die allen gut tut. Eine lebenswerte Zukunft durch freie Entscheidungen freier Bürger. Das bedingungslose Grundeinkommen und echte Bürgerdemokratie bilden dafür die Basis – ganz souverän, der Souverän! Echte Demokratie? Die ist direkt und digital. Wir regieren uns selbst. In Brasilien machen sich dafür Bruna Augusto und ihr Mann Marcus Vinicius Brancaglione stark, die im Oktober 2008 auch das BGE-Pilotprojekt BIG Quatinga Velho aufgegleist haben und mit ihrer NGO (Nichtregierungsorganisation) ReCivitas gesellschaftliche Veränderungen durch bürgerschaftliches Engagement auf vielen Ebenen ermöglichen.
Die Bedürfnisse ähneln sich, überall auf der Erde. Aktuelle Umfragen ergeben, dass auch in Deutschland ein Großteil der Bevölkerung den bundesweiten Volksentscheid will. Der Wunsch nach Mitbestimmung und Mitgestaltung nimmt permanent zu. Miteinander Wesentliches bewegen – gemeinsam schreiben wir einen neuen Gesellschaftsvertrag mit tragenden Säulen:
• Bedingungsloses Grundeinkommen via Volksentscheid • Geldsystemreform • Gemeinwohlökonomie und Gesundheitsparlament • Bildungsrevolution • Energie in Bürgerhand – Wasser ist ein Menschenrecht • Neuer Arbeitsbegriff – aktive Kulturgesellschaft • BGE als Demokratiepauschale und echte Bürgerdemokratie via Internetparlament
Tatsächlich ist seit geraumer Zeit ein tiefgreifender Wertewandel im Gange – die globale Gesellschaft ist im Begriff, sich nachhaltig zu verändern. Ungleichgewicht ruft nach Ausgleich – insbesondere die Arbeitswelt wandelt sich fundamental. Es ist an der Zeit, den Begriff der Erwerbsarbeit neu zu definieren und den Weg frei zu machen für eine aktive Kulturgesellschaft. Mutige Menschen und Visionäre spielen bei diesem Wandel eine wegweisende Rolle. Die Wertschätzungsgesellschaft bahnt sich ihren Weg.
Die Utopie von heute ist die Realität von morgen. Wie sieht sie aus? Das deutsche Netzwerk Grundeinkommen formuliert kurz und knackig: »Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll
• die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, • einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie • ohne Bedürftigkeitsprüfung und • ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden.«
Die europäische BGE-Bürgerinitiative ›Basic Income Europe‹ sagt: »Bedingungsloses Grundeinkommen ist nicht links oder rechts. Es ist vorwärts.« Und das Netzwerk BIEN – gegründet 1986 als Basic Income European Network und 2004 erweitert auf die ganze Welt – preist die innovativen Kräfte des BGE so:
»Freiheit, Gleichheit, Effizienz und Gemeinschaft, gemeinsame Eigentümerschaft der Erde und gleiche Verteilung der Vorteile des technischen Prozesses, Flexibilität des Arbeitsmarktes und die Würde der Armen, der Kampf gegen inhumane Arbeitsbedingungen, gegen die Wüstenbildung auf dem Land und gegen interregionale Ungleichheiten, die Lebensfähigkeit von Kooperativen, die Förderung der Erwachsenenbildung und Autonomie von Vorgesetzten, Ehemännern und Bürokraten, wurden alle in diesem Zusammenhang geltend gemacht.«
Das bedingungslose Grundeinkommen ist vielmehr ein zutiefst menschliches als ein explizit politisches Anliegen. Dennoch widerspricht es unserem Selbstverständnis als Souverän, seine Einführung in die Hände von Eliten der Legislative und Exekutive zu legen. Der Paradigmenwechsel geht uns alle an – und wir brauchen die Möglichkeit, uns die bedingungslose Sicherung der Existenz gegenseitig zuzugestehen. Einfach weil wir Mensch sind. Weil jeder mit einem einzigartigen Talent auf dieser Welt ist und dieses auch in die Gemeinschaft einbringen möchte. Erst dann wird das große Gesellschaftsgemälde bunt und lebendig – wenn nicht, bleiben wir unter unseren Möglichkeiten. Das geht nur via Volksabstimmung.
In der Schweiz, die von allen Demokratien die weitreichendsten direktdemokratischen Elemente hat, ist es den BGE-Aktivisten gelungen, weit mehr als die erforderlichen 100.000 Unterschriften für die Einreichung der eidgenössischen Volksinitiative am 4. Oktober 2013 zu sammeln – 2016 stimmen die Bürger über die Einführung ab. Und die Bilder des Geldbergs – 8 Millionen 5-Rappen-Münzen, für jeden Einwohner der Schweiz eine, die auf dem Bundesplatz in Bern von einem Kieslaster gekippt wurden – gingen um die Welt, lösten ein internationales Medienecho aus und beflügelten die Debatte nachhaltig. Weltbewegend.
Alles ist mit allem verbunden. Durch das Internet können wir dieses gefühlte Wissen auch in Echtzeit erleben. So wird das Web zum Demokratiemedium, das uns politische Teilhabe ermöglicht – und mit dessen Hilfe wir das BGE einführen können. […]
original: http://www.tattva.de/freiheit-gleichwertigkeit-grundeinkommen-jetzt/