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Bedingungsloses Grundeinkommen: Deutschland zaudert, Schweiz stimmt ab

Deutschland zaudert. Die Schweiz stimmt ab. Finnland bereitet einen Gesetzesentwurf vor. Das bedingungslose Grundeinkommen ist populärer denn je, weil die Schere zwischen Arm und Reich weiterauseinanderdriftet.

In Deutschland wird seit elf Jahren ergebnislos über den Vorschlag von dm-Drogeriekettengründer Götz Werner (71) aus Karlsruhe in Baden-Württemberg diskutiert, jedem Bürger monatlich 1.000 Euro Grundeinkommen ohne jegliche Bedingung auszuzahlen.

Die Schweiz stimmt in diesem Jahr als erstes Land Europas über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in ihrem Land ab.

Bei dem Volksentscheid geht es darum, ob die Schweiz jedem erwachsenen Schweizer rund 2.250 Euro und jedem Kind 562 Euro im Monat bezahlt. Der Schweizer Bundesrat schätzt die Kosten für das bedingungslose Grundeinkommen auf 187 Milliarden Euro pro Jahr – fast ein Drittel des Bruttoinlandprodukts. Dafür müssten 138 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuern erhoben werden. Rund 49 Milliarden Euro könnten aus den Sozialversicherungen und der Sozialhilfe umgelagert werden. Die Schweizer Volksinitiative wurde übrigens mit Hilfe von Götz Werner angeschoben.

In Deutschland würde die Einführung von 1.000 Euro bedingungsosem Grundeinkommen nach Angaben des Süddeutsche Zeitungs Kommentators Nikolaus Piper vor wenigen Tagen rund 1 Billion Euro kosten. Das wäre mehr als Bund und Länder heute an Steuern einnehmen (800 Milliarden Euro). Die öffentlichen Haushalte müssten auf völlig neue Grundlage gestellt werden, die gesetzliche Rentenversicherung wäre schrittweise abzuschaffen. Für Götz Werner ist die Finanzierung ganz einfach: Alle Steuern, auch die Einkommenssteuer, abschaffen – bis auf eine: die Konsumsteuer (Mehrwertsteuer). Und diese von 19 auf 50 Prozent erhöhen.

Gegner des bedingungslosen Einkommens bekommen durch die Flüchtlingskrise Aufwind: Wie soll die Integration von einer Million Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt gelingen, wenn jeder anerkannte Asylbewerber monatlich 1.000 Euro bekäme, egal was er tut?

Weltwirtschaftsforum für bedingungsloses Grundeinkommen

Im Schweizerischen Davos im Kanton Graubünden schickte am 21. Januar 2016 das Weltwirtschaftsforum, das dort jährlich tagt, einen tanzenden Roboter durch die Straßen der Stadt, der für ein bedingungsloses Grundeinkommen warb. Auf einer Open-Air-Medienkonferenz verlasen dann zwei Sprecher die „Erklärung von Davos“. Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei die beste Antwort auf die Herausforderungen der neuen industriellen Revolution, argumentierten sie. „Der entscheidende Punkt ist, dass die Menschen weiterhin ein gesichertes Einkommen haben.“ Auch, wenn künftig eine neue Generation von Robotern heutige Arbeiten verrichten werden, so der Hintergrund.

Entschiedene Gegner des Grundeinkommens in Deutschland sind die Gewerkschaften. Bei Verdi heißt es zum Beispiel: „Staatliche Hilfeleistungen müssen Bedürftige erhalten, nicht die gesamte Bevölkerung.“ Die Gewerkschafter befürchten eine „unkontrollierbare Dumpingwirkung“ auf die Arbeitseinkommen. Wo eine Gesellschaft die Schwachen auffängt, müssen Firmen weniger Rücksicht nehmen.

Bei den Liberalen kritisieren andere die Einladung in die soziale Hängematte. Welche Auswirkungen der Freifahrtschein für ein mögliches Leben auf dem Sofa hätte, ist unklar. Viele Szenarien sind denkbar. Von einer antriebslosen Gesellschaft, die international den Anschluss verpasst, bis hin zu einer Oase des blühenden bürgerschaftlichen Engagements.

Erste Erfahrungen gibt es lediglich aus Pilotprojekten, wie sie beispielsweise in Brasilien und Namibia durchgeführt wurden. Seit zwölf Jahren steht das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen sogar in der brasilianischen Verfassung. Im 100-Seelendorf Quatinga Velho 50 Kilometer von Sao Paulo im atlantischen Regenwald wurde es mit Spendengeldern von Privaten und Vereinen aus Deutschland, Japan, Costa Rica und Neuseeland erfolgreich getestet. Aber die landesweite Einführung in Brasilien ist an die Zahlungsfähigkeit des Landes gekoppelt und war noch nicht möglich.

Ein ähnliches Experiment gab es 2008 und 2009 bis 2013 in Namibia. Dort schlossen sich Nichtregierungsorganisationen und Kirchen zusammen, um Grundeinkommen für die Siedlungen Otjivero und Omitara zu finanzieren und das Modell auf die Probe zu stellen. Die Projektorte liegen rund 100 Kilometer von der Hauptstadt Windhoek entfernt in der Steppe. Auch dort wurde nicht überprüft, ob jemand arm oder reich ist, sagte eine deutsche Mitarbeiterin der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal gegenüber der Süddeutschen Zeitung. In den Siedlungen lebten reiche, weiße Farmer und Schwarze, die von ihrem Einkommen, das sie bei den Großgrundbesitzern verdienen, kaum das Essen für ihre Kinder bezahlen können. Jeder von ihnen habe umgerechnet neun Euro pro Monat bekommen. Was die 1000 Einwohner mit dem Geld machten, sei ihre Sache gewesen. Der erste Zahltag endete in einem Saufgelage.

Doch dann begannen die Menschen zu investieren. Eine Frau kaufte sich Hühner und verkaufte die Eier, andere fuhren von dem Geld in die Stadt und besorgten Stoffreste, aus denen sie Kleider nähten. Ein Mann begann Ziegelsteine zu backen. So berichtete es der SPIEGEL. Im Jahresbericht für das Projekt steht, dass mehr Menschen Arztgebühren bezahlten und die Polizei weniger Diebstähle vermeldete.

Ähnliche Entwicklungen beschreibt die brasilianische Studentin Bruno Augusto Perreira, Nutzerin des Grundeinkommens in Quatinga Velho. Dort würden Häuser repariert und Medikamente gekauft. Arbeiter legten ihr Geld zusammen und finanzierten damit einen Bus, mit dem sie auf die Plantagen in den Nachbarstädten fahren können. Die Initiatoren beobachteten auch, dass sich die Menschen untereinander mehr halfen. Sie diskutierten die Probleme der Gemeinde und wurden selbstbewusster. Als das Spendengeld alle war, kehrte das Elend zurück. Der Funke sprang nicht auf das ganze Land Namibia über.

Auch das Berliner Projekt „Mein Grundeinkommen“, das über eine Crowdfunding-Lotterie 20 Personen per Los einen monatlichen Betrag von 1.000 Euro für ein Jahr ermöglicht hat, ist wenig aussagekräftig. „Die Energie des Grundeinkommens potenziert sich erst, wenn alle um mich herum das auch haben“, sagt Initiator Michael Bohmeyer der Süddeutschen Zeitung. Sprich: Ein Mensch, der trotz Grundeinkommen arbeitet oder nicht, beweist nichts.

Umso sehnsuchtsvoller gehen die Blicke nach Finnland.

Dort wird seit Jahren ein Grundeinkommen diskutiert. Nun möchte sich die neue Regierung, die sich aus der liberalen Zentrumspartei, der konservativen Nationalen Sammlungspartei und der rechtspopulistischen Partei der Finnen zusammensetzt, die Sache ansehen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. In einer Koalitionsvereinbarung steht dazu genau ein Satz: Man wolle ein Experiment starten. Wie dieses aussehen soll, wann es beginnt, wie lange es dauert, ja selbst, was die Regierung unter Grundeinkommen versteht, ist nicht entschieden. Bis November 2016 soll ein Gesetzentwurf zur Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens erfolgen, die Rede ist von 800 Euro im Monat für jeden Erwachsenen, wie Berlin Journal berichtete.

Vom Ausgang des Tests machen CDU, CSU, SPD und die Grünen ihre Haltung zum bedingungslosen Grundeinkommen abhängig. Die AfD hat die Vorschläge aus den eigenen Reihen, wie etwa auf dem Landesparteitag in Berlin im vorigen Monat, für ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht ins Wahlprogramm aufgenommen, wie Pressereferent Andreas Zöllner dem Berlin Journal auf Nachfrage mitteilte.

In Deutschland sind es die Linken, die als einzige Partei das bedingungsloseGrundeinkommen im Programm haben, obwohl manche Linke denken, ein Grundeinkommen für Reiche sei herausgeworfenes Geld. Doch die Partei ist zu schwach, um ihr Programm im Parlament durchzusetzen. Die Linken können nicht einmal als Opposition ein Gesetz aufhalten, da sie weniger als 19 Prozent Stimmen haben. Der Linken-Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi ist vor kurzem mit einer Verfassungsklage (Organklage) gescheitert, die der Minderheit im Parlament mehr Rechte einräumen sollte. Die obersten Verfassungsrechtler in Karlsruhe meinten am 13. Januar 2016, es gebe genug andere Wege, gegen ein unliebsames Gesetz vorzugehen, und lehnten eine Änderung ab.

Warum die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen heute so populär wird, ist leicht einzusehen, meint Kommentator Nikolaus Piper: „Die Einkommensunterschiede sind in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch gestiegen – und niemand hat es bisher geschafft, sie wieder substanziell zu senken.“

original: http://www.berlinjournal.biz/bedingungsloses-grundeinkommen-deutschland-zaudert-schweiz-stimmt-ab/

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